Gegnerschaft zum Windkraft-Projekt formiert sich weiter–Veranstaltung im Stadtsaal mit 420 Besuchern
Neuötting. „Windindustrieanlagen, die nicht nur unsere grüne Oase, sondern auch unsere einzigartige Natur gefährden“ Das war eine zentrale Sorge in der Einladung der „Alzgerner und Neuöttinger Waldfreunde“ zu einer Veranstaltung am Donnerstagabend
im Neuöttinger Stadtsaal und zugleich Auftakt zu einem Bürgerbegehren. Dieses Begehren strebt eine Rücknahme des befürwortenden Beschlusses des Neuöttinger Stadtrates an. Laut Information gegen Ende der Veranstaltung hatten sich am Donnerstagabend bereits über 200 Bürger in die Listen eingetragen.
Das Thema und die Veranstaltung, die Herbert Strasser, Anlieger und Landwirt aus Alzgern, angeregt hatte, trafen den Nerv und das Interesse der Bevölkerung. Rund 420 Zuhörer drängten in den Stadtsaal. Der Saal wurde schließlich aus Sicherheitsgründen geschlossen. Weitere Zuhörer lauschten nebenan im „Blauen Saal“ via Lautsprecher. Stimmberechtigt für das initiierte Bürgerbegehren ist, wer in Neuötting Wahlrecht besitzt.
„Es geht uns nicht um eine generelle Absage an Windkraft“, erklärte Herbert Strasser im Anschluss an die Veranstaltung im Gespräch mit der Presse, aber um ein Vermeiden der befürchteten Schäden für den Wald, den Gewässerhaushalt und insgesamt für die Ökologie und die unmittelbaren Nachbarn von Alzgern bis nach Mittling. Von der Bürgerinitiative „Gegenwind Altötting“ wolle man sich abgrenzen.
Herbert Strasser ist nicht nur unmittelbarer Anlieger am Staatsforst, sondern hat hier eigenen Waldbesitz, den er hegt und pflegt, wie er betont, und dessen ökologische Intaktheit ihm am Herzen liege. Würde der Windpark mit den gewaltigen Fundamenten für die Türme gebaut, befürchtet man in Alzgern negative Auswirkungen auf den Grundwasserhaushalt, die Teiche, Weiher und Fließgewässer, auf das Kleinklima, die Lebensqualität und auch auf die Trinkwasserversorgung im Wasserzweckverband Inn-Salzach mit Brunnen oberhalb der ehemaligen Hotelberufsfachschule Bavaria.
Fazit der Kritiker am projektierten Windpark, auch im Kontrast zu Befürworter-Stimmen im Publikum: Im Interesse des Klimaschutzes sollte man den bestehen Bürgerbegehren auch in Neuötting am Start den Wald schützen und pflegen.
Bäume seien schließlich die besten Klima-Schützer, atmen Kohlendioxid ein, binden Kohlenstoff und geben Sauerstoff an die Umluft ab. Außerdem haben Wälder einen kühlenden Effekt, gewährleisten Biodiversität und regeln den Feuchtigkeitshaushalt.
Weitere Befürchtungen und Kritikpunkte am projektierten Windpark mit den 40 Anlagen und letztlich mit Rotorblättern 287Metern hohen Türmen, rund viermal so hoch wie der Neuöttinger Kirchturm: Durch Studien sei belegt, dass die Rotoren, auch als Folge des sogenannten „Wake-Effektes“, eine verstärkte Austrocknung des umliegenden Bodens bewirken könnten, was mittlerweile auch in einer Drucksache des Bundestages festgehalten sei.
Blitzschläge seien durch die hohen Stahltürme zu befürchten, die dann nicht nur eine Rotor-Anlage,sondern auch den Wald entzünden und in der Folge auch die angrenzenden Industrieanlagen gefährden würden. Außerdem sei eine Beschallung des Umlandes durch die laufenden Rotoren mit mehr Dezibel als eine laufende Motorsäge zu erwarten.
Risiken werden auch im Werkstoff Schwefelhexafluorid (SF) gesehen, der in Windkraftanlagen verbaut wird. „Schwefelhexafluorid, eine Verbindung der Elemente Schwefel und Fluor, ist ein äußerst reaktionsträges Gas. Diese Eigenschaft wird genutzt, um es zur Isolation von elektrischen Schaltungen einzusetzen und Lichtbögen zu verhindern. Wo in der Mittel- und Hochspannungstechnik elektrischer Strom verteilt wird, geschieht das meist in SF gefüllten Kammern, wo dann kein Funke mehr überspringt.
Doch neben seiner perfekten Isolationswirkung hat Schwefelhexafluorid noch andere, sehr ungünstige Eigenschaften: Es ist das potenteste bekannte Treibhausgas und wirkt circa 23 500 Mal stärker als CO“. Diese Information entstammt der Homepage der Elektrizitätswerke Schönau.
Auch die Risiken durch die Bodenbelastung mit PFOA, der hohe gesetzliche Schutzstatus des Bannwaldes und Trinkwasserschutzgebietes sowie die biologische Zusammensetzung des Waldes mit knapp 50 Prozent Fichtenbestand, 18 Prozent Kiefern, dazu zwei Prozent Tannen und je einem Prozent Lärche und Douglasie sowie 14 Prozent Buchen, drei Prozent Eichen und 13 Prozent weiteren Laubholzarten, vor allem Edellaubhölzern, waren Stichpunkte.
Klare Aussage: Der Bannwald schütze Anlieger in der Region vor eventuellen Abgasen, Staub und vor möglichen Explosionen in den Industrieanlagen. Kritik fanden die Planungen in einem von vornherein anerkannten „Schwachwind-Gebiet“ mit vorgeblichen Prototypen-Anlagen, zu deren Betrieb noch keine Erfahrungen vorlägen.
Dezidierte Kritik an den großen Hoffnungen, die in Windpark-Anlagen generell gesetzt werden, stellte Stefan Spiegelberger, nach eigenen Angaben Energieanlagen-Elektroniker und Fachjournalist, vor. Spiegelberger ist im Internet via Youtube mit dem Stichwort „Outdoor Chiemgau“ präsent. Er erklärte die sprunghaft angewachsene Volatilität des Stromangebotes in den Verteilernetzen und die damit sprunghaft gewachsenen Risiken für die Netzsicherheit. Breche das Netz zusammen, weil Stromangebot und Stromverbrauch nicht im Einklang sind, drohe Blackout.
Während noch um 2000 kaum zehnmal im Jahr zur Vermeidung eines Netzzusammenbruches steuernd eingegriffen werden musste, habe sich die Zahl dieser Noteingriffe in der jüngsten Vergangenheit auf über 15 000 im Jahr erhöht. Das Stromnetz in Deutschland sei vor Jahrzehnten für rund 1000 Großkraftwerke konzipiert und gebaut worden; jetzt seien über 5 Millionen Kraftwerke unterschiedlichster Größe angeschlossen und das erfordere nicht nur enormkomplexen Regelungsbedarf, sondern auch einen teuren Ausbau der Netze. Für die kommenden Jahre schätzt Spiegelberger in diesem Kontext einen Investitionsbedarf von über 400 Milliarden Euro im Bund. Diese Zahlen seien in der politischen Debatte zu den „scheinbar“ kostengünstigen erneuerbaren Energien aus Wind und Photovoltaik in der Regel nicht eingepreist.
Trotz der Bedenken und konkreten Kritik am Windpark-Projekt in Alzgern fanden sich auch dezidierte Befürworter. Schon am Eingang zum Rathaus hatte der Orts- und Kreisverband der Grünen/Bündnis 90 Flugblätter zugunsten der Windkraft verteilt und auch im Publikum befanden sich leidenschaftliche Befürworter unter anderem mit der Frage:
Ja, wie sollten sich denn sonst der Klimaschutz und die Energiewende mit Defossilisierung bewerkstelligen lassen? Mit einem Wiederanfahren der jüngst abgeschalteten Kernkraftwerke, meinte Stefan Spiegelberger. Da könnten enorme Mengen an Kohlendioxid eingespart werden. Diese Aussage wiederum fand Widerspruch im Publikum mit Hinweis auf die enormen Risiken, die mit Kernkraft verbunden seien. Keinen Widerspruch fand die Anregung, verstärkt in Forschung nach weiteren alternativen Energien und neue Kernkraft-Technologien zu investieren. Ausgeblendet blieben Aussagen aus der Kernkraft-Industrie, dass die Kernkraftwerke nicht mehr ohne weiteres eingeschaltet werden könnten. Der Zug sei nach dem zweiten Ausstiegsbeschluss von 2011 und spätestens seit zehn Jahren abgefahren. Service-Intervalle seien verstrichen, Ersatzteile, Know-how und technisches Personal mit all dem notwendigen Spezialwissen nicht mehr verfügbar, um nur einige Aspekte zu benennen.
Keine Diskussion gab es zur nachdenklichen Anregung aus dem Publikum, Kohlendioxid durch einen sparsameren Energie-Konsum und durch ein Umdenken in der Konsumgesellschaft einzusparen und so zum Klimaschutz beizutragen.